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Beitrag vom 22.01.2004
Mai `68 revisited
Jessica Cohen
Bertoluccis "Dreamers´ fordern unbegrenzte Freiheit für Liebe und Sexualität. Ein Film über das Zusammenleben von drei jungen Menschen, die intimste Tabus überschreiten. Kinostart: 22. Januar 2004
Ein Film über drei Studenten, Mai `68 in Paris: Ambitioniert, die Revolution in Paris und im Rest der Welt voranzutreiben? Engagierte DemonstrantInnen? Hitzige politische Diskussionen im besetzten Unigebäude über das nächste Flugblatt und die Blauen Bände?
Fast) nichts davon in Bertoluccis neuem Film "Die Träumer". Hier treiben drei Studenten die Revolution in ihrer eigenen Welt voran, in der großbürgerlichen elterlichen Wohnung, die sie verwahrlosen lassen, und in ihrer Lebensweise, in der sie immer mehr Tabus überschreiten. Mit Film, Sex und ein wenig wahrer Liebe.
Der Amerikaner Matthew (Michael Pitt) verbringt ein Studienjahr in Paris. Tagtäglicher Treffpunkt der Filmfreaks dieser Zeit ist die Cinémathèque, wo sowohl Klassiker des alten Hollywood sowie Filme der Nouvelle Vague zu sehen sind. Hier lernt Matthew die Geschwister Isabelle (Eva Green) und Theo (Louis Garrel) kennen.
Die Geschwister laden den zurückhaltenden Matthew ein, sein schmutziges Studentenwohnheim zu verlassen und zu ihnen zu ziehen, da die Eltern für einen Monat aufs Land gefahren sind. Was nun beginnt, ist ein extrem intensives Zusammenleben dreier Menschen, die die Grenzen des anderen nicht mehr anerkennen und von der Außenwelt völlig abgeschottet sind. Sie wissen nicht, was im Mai `68 in den Straßen von Paris passiert, und doch passt ihre Lebenseinstellung zum Zeitgeist, kann ihre Geschichte nur zu diesem Zeitpunkt stattfinden.
Sie diskutieren nicht über Marx, sondern über Chaplin und Keaton, Hendrix und Clapton. Isabelle und Theo spielen ihr liebstes Spiel und fordern die Beteiligung des widerwilligen Matthew. Isabelle und Theo stellen abwechselnd eine berühmte Filmszene nach. Wenn die anderen nicht erraten, in welchem Film solch eine Szene vorkommt, müssen sie büßen - Strafen, die ihre Willens- und Intimitätsgrenzen weit überschreiten. Und doch kann nur so ein Stückchen wahrer Liebe zwischen Isabelle und Matthew entstehen, welches allerdings an der emotionalen und geistigen Fusion der Geschwister zerbricht. Theo erklärt Matthew unerbittlich, Isabelle und er seien siamesische Zwillinge, am Kopf zusammen gewachsen. Und so bleibt Matthew immer ein bisschen Außenseiter, kann nie ganz zu den Geschwistern durchdringen.
Ein Stein, von Demonstranten in die hermetisch abgeriegelte Wohnung geworfen, holt die drei zurück in die Realität. Sie stürzen hinaus auf die Straße, um sich dem Demonstrationszug anzuschließen, aber eigentlich bleibt alles beim alten. Matthew bewahrt einen kühlen Kopf, während sich Isabelle und Theo in die Gewalt der Straße hineinfallen lassen wie in einen Film.
Musikalisch wird der Film facettenreich begleitet mit Songs von Edith Piaf bis The Doors. Der Soundtrack mit Originalsongs und -filmmusiken erscheint am 12. Januar 2004 bei UNIVERSAL (Best. Nr. 9812084).
Das Drehbuch basiert auf dem Roman "The Holy Innocents" von Gilbert Adair. Die überarbeitete Fassung ist nun auch auf deutsch erschienen ("Träumer" Editin Epoca)
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The DreamersRegie: Bernardo Bertolucci
DarstellerInnen: Michael Pitt (Matthew), Louis Garrel (Theo), Eva Green (Isabelle)
116 Minuten
Deutschland (FSK):Freigegeben ab 16 Jahren
Kinostart: 22. Januar 2004
Großbritannien/Frankreich/Italien 2003